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Der virtuelle Erlebnis-Filter

Eine der essen­ti­el­len Erfah­run­gen des Rei­sen­den ist das Aben­teuer. Schon immer such­ten wage­mu­tige Men­schen das Neue, noch Unent­deckte. Die Neu­gier (oder auch die Gier nach Gold und Ruhm) trieb sie an die Gren­zen des Bekann­ten, und mehr und mehr schwarze Fle­cken der Land­kar­ten wur­den bunt und für andere erreich­bar. Fokus­siert auf das eine Ziel und auf sich selbst gestellt muss­ten sie sich das Wis­sen erkämp­fen, das sie an die nach­fol­gen­den Gene­ra­tio­nen wei­ter­ga­ben. Kamen sie zurück, waren sie vol­ler Ein­drü­cke und Geschich­ten. Man­che star­ben, einige wur­den zu Helden.

Früh­jahr 2012, irgendwo in Asien. Ich steige die Stu­fen der Her­berge hin­un­ter. Der Raum ist zum Fluss hin offen, Holz­ti­sche, Rat­tan­stühle und bunte Kis­sen lie­gen bereit, an der Decke schnauft ein alters­schwa­cher Ven­ti­la­tor. Es ist heiß. Von Ferne dringt gedämpft das Geschrei der Straße, Stra­ßen­händ­ler rufen, Autos hupen. Die sie­ben inter­net­fä­hi­gen Geräte der sie­ben (kör­per­lich) anwe­sen­den Rei­sen­den fügen sich naht­los in die träge Geräusch­ku­lisse ein. Tas­ten klap­pern. Touch­pads klicken.

Nie­mand spricht. Ich setze mich an die Veranda und klappe mei­nen Lap­top auf.

Das Inter­net ist all­ge­gen­wär­tig. Und nicht nur in den wohl­ha­ben­den Län­dern der Erde: selbst an den unmög­lichs­ten Orten gibt es selbst­ver­ständ­lich freies WiFi und güns­tige mobile Ver­bin­dun­gen. Für Tou­ris­ten und Rei­sende bie­tet das groß­ar­tige Vor­teile: Nie war es so ein­fach, pas­sende Hotels zu fin­den (inklu­sive unzäh­li­ger Bewer­tun­gen), spon­tan die güns­tigs­ten Flüge zu fin­den und zu buchen oder mal die wirre Kolo­ni­al­ge­schichte der Deut­schen nach­zu­schla­gen – wäh­rend man auf Samoa unter Pal­men spaziert.

Na, wie­viel Uhr ist bei dir? Ein Chat­fens­ter ploppt auf.

Die Ein­sam­keit der Ferne? Ein nost­al­gi­scher Gedanke aus dem Präin­ter­net. Frü­her reiste man­cher in die Fremde, um, weit her­aus­ge­ris­sen aus der eige­nen Kul­tur, sich selbst zu fin­den. Eine roman­ti­sche Idee, deren Rea­li­tät sehr viel pro­sa­ischer war und ist. Der ver­zwei­felte Anruf aus der sau­na­ar­ti­gen Tele­fon­ka­bine, bei dem die Dol­lar schnel­ler aus der Tasche pur­zeln als man im Lei­tungs­rau­schen die besorgte Mut­ter ver­ste­hen kann, ist heute eher die Sel­ten­heit – Skype auf, Video an. Gratis.

Sta­tus­up­date: Oh wie schön ist das hier. Gefällt 13 Freunden.

Wäh­rend ich mit ein, zwei Freun­den chatte, recher­chiere ich die nächste Rei­see­tappe. Ein paar Facts von der Lonely Pla­net Web­site, zwei Berichte von blog­gen­den Tou­ris­ten, auf Wiki­tra­vel ergän­zende Infos. Ein Zoom mit Google Earth auf das Städt­chen am Meer: Sieht ja hübsch aus, und das emp­foh­lene Guest­house liegt wirk­lich zen­tral! Lei­der kein Street­view ver­füg­bar. Der Tages­aus­flug zu der Tem­pel­an­lage kos­tet nur sie­ben Dol­lar, aber es wird erst ein­mal das Dop­pelte gefor­dert. Gut zu wis­sen. Mit­tags wird es kurz reg­nen, sagt die Wet­ter­vor­her­sage. Alles klar: Ich weiß Bescheid!

Bescheid zu wis­sen, das ist unge­heuer hilf­reich. Man ist preis­wer­ter, schnel­ler und unab­hän­gi­ger unter­wegs. In einem Wort: effek­ti­ver. Das gilt natür­lich nicht nur fürs Rei­sen. Doch gerade hier zeigt sich eine Kehr­seite des unmit­tel­ba­ren Infor­ma­ti­ons­reich­tums beson­ders deutlich.

Denn aben­teu­er­li­che Erleb­nisse sind nicht denk­bar ohne die Kom­po­nente des Unbe­kann­ten. Ein Aben­teuer ohne Risiko? Unmög­lich. Eine Adven­ture-Tour zu buchen bedeu­tet ziem­lich sicher, dass man wohl keine Über­ra­schun­gen zu erwar­ten hat.

Wie viel Risiko man ein­ge­hen will ist natür­lich von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich.

Eines aber gilt für alle: Je mehr ich weiß, desto kla­rer sind meine Erwar­tun­gen. Durch die Infor­ma­tio­nen vorab bilde ich mir eine Sicht­weise, die es schwe­rer macht mit offe­nem Auge und Her­zen die Welt zu erkun­den. Ich sehe nur das, was ich erwarte vor­zu­fin­den. Wenn ich stän­dig ein iPad vor dem Kopf her­um­schwenke, sehe ich die Wirk­lich­keit durch den Fil­ter einer vir­tu­el­len App.

Die Auf­merk­sam­keit zerstreuen

Ges­tern bin ich hier ange­kom­men, eine Tages­reise im Bus vom letz­ten Ort ent­fernt. Acht Stun­den Fahrt ohne Inter­net. Acht Stun­den lang keine Face­book-Updates, acht Stun­den ohne E‑Mails und Nach­rich­ten­ti­cker. Acht Stun­den Zeit, mich auf das wenige zu kon­zen­trie­ren, was mir gebo­ten wurde: Die vor­bei­zie­hen­den grell leuch­ten­den Reis­fel­der, die schrille Bord­un­ter­hal­tung, den kot­zen­den Jun­gen drei Rei­hen vor mir.

Den neuen Rei­se­blog-Bei­trag habe ich jetzt schon fer­tig – den hab ich auf der Fahrt ver­fasst, als ich damit die auf­kei­mende Lan­ge­weile bekämpfte. Den­ken statt Chat­ten. Schrei­ben statt Sur­fen. Schaf­fen statt Konsumieren.

Ich liebe das Inter­net. Im All­tag und beim Rei­sen kann ich mir nur schwer vor­stel­len dar­auf zu ver­zich­ten. Trotz­dem: so man­ches mal lohnt es sich aus­zu­schal­ten. Um Men­schen zu tref­fen. Aben­teuer zu bestehen. Und über Dinge nach­zu­den­ken, die schnell im Wust der Ablen­kun­gen unter­ge­hen. Um bei sich zu sein, mit­ten­drin, jetzt.

/// Alle Fotos: Indien 2001, Canon AE1 <3 ///

/// Der Text wurde zuerst im Maga­zin „grimme“ zum Grimme Online Award 2012 ver­öf­fent­licht. Wei­tere Arti­kel aus der Preis­pu­bli­ka­tion könnt ihr hier lesen, oder das Maga­zin beim Grimme-Insti­tut bestel­len, für umme! ///

Cate­go­riesDeutsch­land
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Johannes Klaus

Johannes Klaus hängte seinen Job als Grafikdesigner an den Nagel, um 14 Monate um die Welt zu reisen. Seine Website Reisedepesche wurde 2011 mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. In unbeobachteten Momenten streichelt er den Preis zärtlich, besteht ansonsten aber darauf, dass ihm so was völlig egal sei.

  1. Katrin says:

    Tol­ler Arti­kel, ver­zichte unter­wegs (da Fest­an­stel­lung max. 3 Wochen am Stück) auch gerne aufs Inter­net um mal „abzu­schal­ten“. Je nach­dem ist es auf einem Back­pa­cker Trip dann aber doch wie­der nütz­lich, mal ins Netz zu gehen um Unter­künfte zu che­cken, anfra­gen oder reser­vie­ren (je nach Reisezeit)
    So ganz kann ich glaub auch nicht mehr, als Social Media Coör­di­na­tor fehlt dann schon irgend­wie etwas… ;-)

  2. Alexandra says:

    Super Bericht! Das mit dem Inter­net auf Rei­sen ist so eine Sache. Es gibt so viele Frei­hei­ten, dass es schon fast wie­der abhän­gig macht :-) Ich war jeden­falls wäh­rend mei­nes Frei­wil­li­gen­dienst im Aus­land total von guten Inter­net­ver­bin­dun­gen abhängig.

  3. Simon says:

    Ech­tes mobi­les Inter­net per Smart­phone brauch ich im Urlaub nicht. Sehe dazu auch kei­nen Grund!
    Das Net­book haben wir aber immer dabei. Wir blog­gen live von der Reise, da braucht man eben das Inter­net. Für eine kleine Recher­che ist es auch nicht verkehrt.
    Sicher­lich wer­den durch das Inter­net die Ein­drü­cke vorab bereits stark fest­ge­legt, ande­rer­seits würde man aber doch auch viel ver­pas­sen und wert­volle Urlaubs­zeit ver­schwen­den wenn man sich nicht ent­spre­chend infor­miert hätte!
    Zuge­ge­ben ich bin auch jemand, der sehr viel plant!

    1. klys says:

      ja, simon, das ist wohl der punkt: was man in einer sol­chen reise sucht. für eine gute pla­nung ist das inter­net natür­lich gold wert! man­cher, der andere prio­ri­tä­ten setzt, kann wahr­schein­lich eher mal drauf verzichten…

  4. Philipp says:

    Guter Arti­kel! Den haste an der Neckar­wiese in der Sonne geschrie­ben, statt – unge­stoert von Digi­ta­lem und Vir­tu­el­lem – den Geruch der Nestle-Fabrik in Dein fei­nes Naes­chen ein­zu­at­men. Hehehe… Gruß vom Cousin.

  5. REISEMEMOS says:

    Wer ein Land sucht, in dem es kein Wlan gibt, der begebe sich nach Kuba. Zwar erlaubt Fidel den Top Hotels einen PC mit Inter­net (5€/Std.) in der Lobby, die Din­ger sind aber so lahm, dass man es gleich sein las­sen kann. Für mich war es seit Jah­ren die erste Woche ohne Inter­net. Die ers­ten Tage hatte ich Ent­zugs­er­schei­nun­gen, dann wurde es aber bes­ser. Es geht auch ohne!

    1. Jens says:

      Das Land könnte auch Myan­mar (ehem. Burma) lau­ten!! So war es zumin­des­tens noch vor drei Wochen ;-), aber Inter­net fin­dest du auch da, wenn es sooooooo lang­sam ist, dass sich kaum eine Seite aufbaut!

  6. Thorsten says:

    Die Zei­ten ändern sich. Und mit ihnen die Mög­lich­kei­ten zu rei­sen und den­noch ein Stück „vir­tu­elle“ Hei­mat mit­zu­neh­men: die Face­book Freunde, oder die ver­trau­ten Grup­pen und Pro­zesse ande­rer vir­tu­el­ler Com­mu­ni­ties, die Web­seite der Hei­mat­zei­tung, das Lokal­ra­dio als Web­stream. Alles prima und ich liebe es und nutze es weid­lich, wenn ich unter­wegs bin. Aber manch­mal denke ich weh­mü­tig daran zurück, dass man frü­her nach drei­wö­chi­gem Ita­li­en­auf­ent­halt Heim kam und wirk­lich die ganze Zeit mit nie­man­dem zu Hause gespro­chen hatte, keine deut­schen Nach­rich­ten gese­hen hatte und wie von einem frem­den Stern zurück­kehrte in diese leicht ver­än­derte Heimat…

  7. Jens says:

    Und warum bin ich ges­tern dann nur Mit­tags drei Stun­den durch Bang­kok mit Ruck­sack gelau­fen, habe geschwitzt, mich über Tuk­Tuk-Fah­rer geär­gert, wenn es so ein­fach geht!?? Ich habe zwar mein Net­book dabei, aber für Unter­künfte zu suchen benutze ich es nicht! Ohne Net­book wollte ich nicht unter­wegs sein, vor­al­lem ist ein Chat manch­mal schon schön abwechs­lungs­reich und ein Blick über eine weite Anreise „Lohnt sich das über­haupt?“ ist auch drin. ABER du hast schon recht die Erwar­tun­gen an die Rea­li­tät wird gestört, des­halb ver­su­che ich mir sowe­nig als mög­lich über Unter­künfte, Weg usw. über das Web zu holen. Nur dann bleibt der Blick geschärft und die Kon­zen­tra­tion erhal­ten und die Erwar­tun­gen sind noch auf „fast Null“. :cool:

  8. Ralf says:

    Da guck ich nach Ewig­kei­ten mal wie­der vor­bei, mehr so aus Lan­ge­weile und in der vagen Hoff­nung viel­leicht doch nach so lan­ger Zeit wie­der was Inter­es­san­tes auf der Rei­se­de­pe­sche zu fin­den – und siehe da – gleich so eine Perle! End­lich(!) von der Qua­li­tät und Aus­sa­ge­kraft wie­der ein Arti­kel der auf Augen­höhe mit Jenen ist, die Du WÄHREND dei­ner Reise schriebst.

    Will sagen: Gut so! Geht doch!! MEHR!!!

  9. Inter­net und „tech­ni­scher Schnick­schnack“ beim Rei­sen sind Fluch und Segen zugleich. Ich liebe es auch meine Tour übers Inter­net zu pla­nen und natür­lich auch mei­nen Blog zu war­ten und mei­nen All­tag zu regeln (der lei­der immer mit auf Tour ist).

    Lei­der ver­bringt man zu viel Zeit in der „vir­tu­el­len Welt“ anstatt sich von der Stim­mung des frem­den Lan­des trei­ben zu lassen.

    Beson­ders schade finde ich, wenn in man­chen Hos­tels am Abend jeder vor sei­nem Com­pu­ter sitzt und kaum noch eine ange­regte Dis­kus­sion mög­lich ist.

    1. Jens says:

      Ach ja.… aber viel schlim­mer finde ich dazu noch die Smart­phones!! Den Lap­top klap­pen sie schon eher zu!

  10. Läs­si­ger Bei­trag, Mister!

    Ich war die letz­ten Wochen das erste Mal so rich­tig mit mobi­lem Inter­net alá Smart­phone und local SIM mit 3G unter­wegs in Asien..und man hats micht genervt ;)

    1. klys says:

      wenns nicht so prak­tisch wäre… es ist immer leich­ter etwas abzu­leh­nen, wenn man eh nicht die mög­lich­keit dazu hat…

  11. Stephan says:

    „Eine Adven­ture-Tour zu buchen bedeu­tet ziem­lich sicher, dass man wohl keine Über­ra­schun­gen zu erwar­ten hat.“

    wie wahr wie wahr :-D

  12. Alex says:

    Tref­fen­der Arti­kel und gerade als Blog­ger eine sehr dif­fe­ren­zierte Betrach­tungs­weise. Weni­ger ist eben doch manch­mal mehr – auf allen Rei­sen des Lebens. Klar, wir alle bräuch­ten wohl gele­gent­lich 50 Stun­den-Tage, um all unsere Berichte, Fotos und Videos gebüh­rend auf­zu­be­rei­ten. Und doch soll­ten wir öfter mal auf die „Off“-Taste drü­cken, um real zu (er)leben.

    In die­sem Sinne:
    Dan­ke­schön. So rein virtuell.

    Alex

  13. Sehr schön. muss sagen, dass ich das rei­sen frü­her noch viel span­nen­der fand. damals hat mir mein vater die wesent­li­chen ori­en­tie­rungs­hil­fen in der natur bei­gebracht. als vor­be­rei­tung gab es nur rei­se­be­richte aus der natio­nal geo­gra­phic und den lonely pla­net. rei­sen ist zwar immer noch auf­re­gend, aber wie du bereits sag­test: das erwear­tungs­bild wird vor­her schon viel zu detail­reich aufgebaut.

    btw: geile kamera ;)

  14. Jeremy says:

    Oh ja, und wie :) 

    Tol­ler Bericht, der Satz „Eines aber gilt für alle: Je mehr ich weiß, desto kla­rer sind meine Erwar­tun­gen.“ ist toll. Ich mag es, ohne Erwar­tun­gen irgend­wo­hin zu rei­sen und mich lei­ten zu las­sen. Selbst wenn’s die tolle Suite im Hotel ist – wenn ich schon alles vorab weiss, ist die posi­tive Über­ra­schung nur halb so gross…

    Übri­gens hab ich dazu mal ein Expe­ri­ment gewagt… Tech­nik­los in Ber­lin – für mich als Schwei­zer ja auch „Aus­land“ :D

    http://reisewerk.ch/2011/01/techniklos-in-berlin/

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