New Delhi. Sai­gon. Fes. Die Straße lebt nicht, sie bro­delt, sie schreit, sie kämpft. Um ein klei­nes biss­chen Auf­merk­sam­keit zu erha­schen. Einen klei­nen Vor­sprung vor den Ande­ren. Oder ums nackte Über­le­ben. Tehe­ran. Tif­lis. Kairo. Eine Sei­ten­gasse. Plötz­lich Ruhe. Eine wei­che Decke scheint sich über den Lärm zu legen, nur noch gedämpft drin­gen die hupen­den Taxis, die Gebets­ge­sänge der Muez­zins und die Rufe der Stra­ßen­händ­ler zu mir. Män­ner sit­zen im Schat­ten. Kin­der spie­len mit alten Fahr­rad­rei­fen, Küken ren­nen der gackern­den Henne hinterher.

Ich liebte Städte. Schon daheim, im über­schau­ba­ren Mann­heim, stand ich oft am frü­hen Abend auf dem klei­nen Bal­kon und besah mir das Schau­spiel der Neckar­stadt. Die zu junge Mut­ter mit dem zu dicken Knirps, die in ihr Handy keift. Den blas­sen Mitt­zwan­zi­ger, der seine zwei Frett­chen an der Leine führt. Die Rol­la­tor-Omi kommt vom Penny. Sie alle mochte ich, irgend­wie. Sogar den gif­ti­gen Alten auf dem Fens­ter­brett gegen­über, der so gern unbe­schol­tene Pas­san­ten leise beschimpfte.
„Klei­ner Wixer!“

Städte haben mich immer fas­zi­niert. All der Lärm, der Gestank, die Men­schen­mas­sen – sie stör­ten mich nicht, im Gegen­teil: Wenn ich bei einem Tee im Stra­ßen­café saß, die Stim­mung des Augen­blicks im Rei­se­jour­nal fest­schrieb, und das Leben an mir vor­bei­trei­ben sah, dann fühlte ich die Ener­gie der Stadt auch in mir.

Stadt und Land

Es hat sich geän­dert, irgend­wann auf die­ser Reise. Kairo war die letzte große Stadt, die mich fas­zi­nierte, in der ich ver­sun­ken durch die Stra­ßen streunte.

Wenn ich seit­dem in eine der Metro­po­len kam, seien es die gro­ßen dre­cki­gen Städte Ost­afri­kas, wie Khar­tum und Addis Abeba, oder in den letz­ten Mona­ten nach Bang­kok und Kuala Lum­pur, war mein Ziel schnell klar: Raus hier! Der Ver­kehr nervt mich, der Lärm zer­mürbt. Die Sehens­wür­dig­kei­ten inter­es­sie­ren mich nicht. Ob dre­ckig oder sau­ber, ob alt oder modern: Wie komm ich hier weg?

Land­liebe

Hin­aus, in die klei­nen Sied­lun­gen, dort wo das Leben in sei­nem natür­li­chen Rhyth­mus vor sich hin plät­schert. Wo ich den Gockel ver­flu­chen kann, wenn er mich um fünf Uhr mor­gens weckt. In die klei­nen Städt­chen, die nur alle paar Wochen einen Tou­ris­ten sehen; keine Tour­an­ge­bote auf mich ein­stür­men, und die Eng­lisch­kennt­nisse sich auf „yes, yes“ und „hello, mis­ter“ beschrän­ken. Grüne Reis­fel­der, male­ri­sche Küs­ten und Nebel­schwa­den in Berg­schluch­ten. Stille. Gelassenheit.

Men­schen­mas­sen gehen mir gerade rich­tig auf den Sack. Ob es sich wie­der ändert?

Mal sehen. Hallo Singapur!

Johannes Klaus

Johannes Klaus hängte seinen Job als Grafikdesigner an den Nagel, um 14 Monate um die Welt zu reisen. Seine Website Reisedepesche wurde 2011 mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. In unbeobachteten Momenten streichelt er den Preis zärtlich, besteht ansonsten aber darauf, dass ihm so was völlig egal sei.

  1. Guido says:

    Sehr schön geschrieben. 

    Und wenn man der Reiz­über­flu­tung noch mehr ent­flie­hen will, dann ab in die Wüste. Keine Gerü­che, keine Geräu­sche, schon gar kein Gewu­sel. Nur weite. Leere und zu Son­nen­auf- und Son­nen­un­ter­gang eine Sym­fo­nie aus For­men und Strukturen.

  2. Ralf says:

    Geht mir gerade ähn­lich. Wollte eigent­lich ursprüng­lich auf mei­ner Reise erst­mal run­ter in den (ent­wi­ckel­ten) Süden Bra­si­li­ens, aber irgend­wie hab ich momen­tan gar kei­nen Bock auf die gan­zen Städte dort und reise direkt in den Nor­den, der Ama­zo­nas ruft. Ich will weg von dem gan­zen Zivilisationslärm…

    Letz­tes Jahr in Indien wars auch schon so: Aus New Delhi wollte ich nur noch raus, die bes­ten Erleb­nisse hatte ich in einem Berg­dorf auf 4300 Meter Höhe wo es 3 Guest-Hou­ses gab und etwa dop­pelt so viele Tou­ris­ten (pro Woche…)

  3. siolita says:

    Land muss man aus­hal­ten kön­nen. Man muss sich selbst aus­hal­ten, Ruhe, Lang­sam­keit, auf sich selbst zurück­ge­wor­fen zu sein. Glaube, das hat sehr mit einem selbst und mit dem im Rei­nen mit sich sein zu tun. Wenn man noch wild sucht, ist das Land so anstren­gend. Des­halb tauch ich sehr gern in große, schmut­zige, grelle, laute Städte ein bis ich irgend­wann bereit fürs Land bin. Der Gedanke reizt heute schon, irgendwo auf dem Land aus aus der Welt zu fal­len. Hat man da nicht Angst was zu ver­pas­sen auf Dauer?
    Fernab aller Küchen­phi­lo­so­phie wirste wahr­schein­lich ein­fach nur alt. Gratulation. ;)

    1. klys says:

      sehr inter­es­sante gedan­ken – so hab ich das noch nicht gese­hen. muss ich mal drü­ber nachdenken…
      und danke für die alter-anmer­kung, kleine göre. ;-)

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